Die Lösung, kurze Fassung

Um die Entstehungsgründe des Paradoxons aufzudecken, werden wir 2 Schritte benötigen:
Im ersten Schritt befreien wir uns von dem Widerspruch des letzten Tages (abgekürzt - WdlT),
im zweiten geht es um das vielfache Wissen.

 

1. Befreiung vom WdlT

Was ist der WdlT? Wenn der Gefangene den vorletzten Tag überlebt, läuft das Urteil für ihn auf die zwei folgende Behauptungen hinaus:
1) Morgen werden Sie hingerichtet. 2) Aber heute wissen Sie es nicht.
Die erste Behauptung teilt ihm ein Wissen mit, die zweite hebt dieses Wissen auf, das heißt, das zweite Teil des Urteils widerspricht dem ersten. Weil aus einem Widerspruch kein Wissen zu gewinnen ist, darf der Gefangene den letzten Tag als möglichen Hinrichtungstag nicht ablehnen, wie er es im Paradoxon macht. Bei flüchtigen Lesen fällt uns das Problem nicht auf, weil wir die Anordnung der Hinrichtung intuitiv als Grundlage des Urteils betrachten und in der Behauptung über die Unwissenheit nur eine zusätzliche Bedingung sehen. Der Widerspruch wird erst bei einer genaueren Hinsicht erkannt.

Wir können jedoch versuchen den WdlT aus dem Weg zu räumen, indem wir uns das Ziel setzten, der ersten Behauptung einen absoluten Charakter zu erteilen. Damit würden wir unserer intuitiven Auffassung entgegenkommen. Eine folgende Änderung löst das Problem:
Wir vereinbaren, dass der Richter den Hinrichtungstag im Voraus festlegt und seine Entscheidung bei einem Notar fixiert. Danach bestätigt der Notar dem Gefangenen, dass der Tag festgelegt ist.

Wenn wir nach dieser Änderung noch mal den vorletzten Tag betrachten, so sehen wir, dass der Gefangene jetzt zu keinem Widerspruch kommen würde, weil er aufgrund der Aussage des Notars wissen würde, dass die Hinrichtung für morgen vorgesehen wäre. Und weil dem Richter folgend dieses Wissen nicht zulässig ist, darf er (seiner Meinung nach) den letzten Tag ausschließen. Wir haben also den WdlT beseitigt und damit erstmals die logische Basis der Schlussfolgerungen des Gefangenen gefestigt.

Die Eliminierung des WdlT ist unter anderem auch deswegen notwendig, weil der WdlT uns viel zu leicht verführt, darin die Lösung des Paradoxons zu sehen. Diese Lösung ist schon bei Gardner zu finden, zurzeit wird sie in der Wikipedia in verschiedenen Sprachen angeboten. Gewöhnlich wird diese "Lösung" noch mit der Analogie verdeutlicht: Ein Mann sagt zu seiner Frau "Morgen schenke ich Dir jenes Collier, aber das wird für dich eine Überraschung sein".

Es geht aber weniger um die falsche Lösung. Das Paradoxon galt auch weiterhin als ungelöst, die Unzulänglichkeit dieser Lösung war intuitiv erkennbar. Die meisten Bedenken entstehen ja bei uns nicht im ersten Schritt des Paradoxons, sondern erst später, beim wiederholten Ausschließen der Wochentage. Und diesen Teil des Paradoxons konnte die Analyse nicht erreichen, das verhinderte der WdlT, der als ein eigenartiger "Eindringlingsschutz" wirkte. Wir müssten also das Paradoxon vom WdlT entbinden, um den Weg für die weitere Analyse freizumachen.

 

2. Behandlung des "vielfachen Wissens"

Ich weiß nicht, wer als Erster bemerkt hat, dass die Schlussfolgerung des Paradoxons richtig ist, wenn der Gefangene das Recht bekommt, sein "Wissen" täglich neu zu erklären. Richtig (obwohl überflüssig) sind dann auch die Überlegungen des Paradoxons. Aber irgendwie hat diese seltsame Tatsache keine ausreichende Bewertung erhalten - dabei enthält sie doch den Schlüssel zu der Lösung. Um das klarzumachen: Wir bauen einen Gedankengang für ein wahrhaftes Wissen auf, aber müssen entdecken, dass unsere Schlussfolgerung für das wahrhafte Wissen gar nicht gilt, weil das Ergebnis der Vorbedingung widerspricht. Erstaunlicherweise passt der Schluss samt der Folgerungen aber bestmöglichst für einen nicht erwünschten "Wissens-Simulant". Wie könnte sich so etwas ergeben? Wir müssen uns merken, dass die Logik nicht weiß, welchen Sinn wir dem Begriff "Wissen" zuschreiben, solange wir seine Eigenschaften nicht in die Logik hineinbringen. Offensichtlich haben wir irgendeine Eigenschaft des wahrhaften Wissens nicht berücksichtigt. Und die Situation bringt ans Tage, um welche Eigenschaft es geht: Das Wissen muss eindeutig sein. In unserem Kontext nennen wir es "einmalig" - im Unterschied zum "vielfachen", jeden Tag neuen, Wissen.

Danach ist alles einfach. Wenn wir die Einmaligkeit des Wissens prägnant beachten, so kann die Schlussfolgerung des Paradoxons einfach nicht aufgebaut werden. Wir betrachten der Kürze halber eine Variante mit zwei Tagen anstelle sieben. Und wir urteilen für den Gefangenen:

"Würde ich den vorletzten Tag überleben, würde ich den Tag X wissen (den WdlT sind wir los) - wenn ich zu dieser Zeit noch kein Gebrauch von meinem Recht auf das Wissen gemacht hätte. Lasst uns annehmen, dass auch diese Bedingung (A) erfüllt ist. Da ich den Tag X nicht wissen soll, würde hieraus folgen, dass der letzte Tag nicht der Tag X sein kann und folglich es nur der vorletzte Tag sein kann. Aber dieses neu erworbene Wissen des Tages X würde der früher angenommenen Prämisse A widersprechen, dass ich zum letzten Tag noch kein Wissen hätte. Also muss ich alle Schlüsse, die A folgen, verwerfen."

Und das war's. Entsprechend dieser Schlussfolgerung können wir jetzt sagen, wo der Fehler in der Überlegung des Paradoxons gemacht wird:
Der Gefangene kommt zum Schluss, dass am letzten Tag keine Hinrichtung stattfinden kann, weil er sonst den Tag der Hinrichtung im Voraus wissen würde. Vorläufig stimmen wir dem zu. Danach hält er für möglich, diesen Tag als möglichen Hinrichtungstag aus der Betrachtung auszuschließen. Und das ist schon falsch. Das würde bedeuten, dass er sein "Wissen" zu irgendwelchem früheren Tag erklären würde. Stellen wir uns vor, dass die Hinrichtung doch für den letzten Tag angesetzt wäre. Ja, der Gefangene würde in diesem Fall den Tag der Hinrichtung im Voraus wissen, aber das würde schon nicht sein erstes "Wissen" sein. Dass sein erstes "Wissen" falsch war und das Jetzige richtig ist, ist schon ohne Bedeutung: Wenn er sich zum ersten Mal verfehlt hat, so besitzt er kein Wissen, und dass ein nächster Versuch klappt, muss als Glückssache bewertet werden.

 

3. Schlussbemerkungen

Sind noch andere Lösungen möglich? Lassen wir uns zuerst die Frage beantworten, ob das "vielfache Wissen" zulässig ist. Bekommen wir ein "Ja" als Antwort, so sind sowohl der Gedankengang des Paradoxons als auch sein Ergebnis richtig. Bei einem "Nein" (wird also die Einmaligkeit des Wissens gefordert) kann das Paradoxon, wie oben gezeigt, gar nicht aufgebaut werden. Alles hängt von dieser Entscheidung ab. Zwischen "Ja" und "Nein" gibt es keinen Abstand; für irgendwelchen anderen Lösungen bleibt kein Platz übrig.

Diese Zusammenfassung wird wahrscheinlich für den meisten Leser ausreichen. Andere können diesen Text als Einführung ansehen. Der ausführliche Text befindet sich hier.