Das Urteil ist nicht anfechtbar

Wenn man sich den Gefangenen vorstellst, der sich in einem Zwiespalt zwischen Angst und Hoffnung befinden soll, so kommt man natürlich zur Überzeugung, dass solches Urteil keine Existenzberechtigung haben darf. Jedoch ein logischer Beweis misslingt. Ich hatte die Hoffnungen aufgegeben, das Urteil zu widerlegen, nachdem ich den folgenden "Beweis" für die logische Unbestreitbarkeit des Urteils fand:

Angenommen, der Gefangene oder sein Anwalt versuchen mit Hilfe der Folgerungen des Paradoxes den Richter zu überzeugen, dass das Urteil nicht korrekt ist. Der Richter denkt nach, dann findet er die folgende Antwort:

Der Richter erklärt, dass er den Tag der Hinrichtung mit Hilfe eines Zufallsgenerators bestimmen wird. Der Generator wird so eingestellt, dass der 1. Tag mit der Wahrscheinlichkeit von 90%, den 2. Tag mit 9% usw. gewählt wird, das heißt, jeder nachfolgende Tag mit einer um Faktor 10 herabgesetzten Wahrscheinlichkeit - bis zum 7. Tag, für den die Wahrscheinlichkeit von 0,0001% übrig bleibt.

Unter dieser Bedingung verliert das Paradox den Boden, der Gefangene kann keinen Tag ausschließen, da auch der 7. Tag zugelassen wird. Aber im Falle der Hinrichtung am 7. Tag würde der Gefangene den Tag der Hinrichtung im Voraus wissen, und das Urteil wäre nicht im Genauesten erfüllt. Und ein Urteil, das nur mit der Wahrscheinlichkeit 99,9999% erfüllt sein kann, bleibt immer noch unkorrekt.

Aber der Richter geht weiter und gibt noch 2 Erklärungen ab:

  1. Mit einer vergrößerten Abstufung der Wahrscheinlichkeiten zwischen den Tagen kann er die Wahrscheinlichkeit des Erfolges beliebig nahe an die 1 bringen(d.h. zu 100%).
  2. Er ist nicht verpflichtet, seine Entscheidungsprozedur zu erklären. Er könnte seine Position nur verbessern, indem er auf solche Erklärung verzichtet. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit seines Erfolges, wenn er keine Erklärung abgibt? Diese Wahrscheinlichkeit muss mit einer bestimmten Zahl bewertet werden, die nicht kleiner ist, als jede, die einer beliebigen Variante mit dem Zufallsgenerator entspricht. Die einzig und allein mögliche Größe ist die 1. Das heißt, das Urteil kann mit 100% Wahrscheinlichkeit erfüllt werden.

Diese Schlussfolgerung hat mich überzeugt, dass als Entstehungsgrund des Paradoxons nur Fehler in den Überlegungen des Gefangenen in Frage kommen.


Weitere Bemerkungen

Ich wollte hier noch ein Paar unverbindliche Bemerkungen anbieten, die ich nicht geschafft habe, im Haupttext unterzubringen.

Bemerkung 1. Warum stimmen wir leicht dem zu, dass eine Hinrichtung am letzten Tag dem Urteil widerspricht?

Ich denke, dass es uns aus dem allgemeinen Verständnis der Situation intuitiv klar ist, dass der Gefangene in diesem Fall den Tag der Hinrichtung wirklich wissen wird.

Und für solche Vorstellung kann eine Begründung gefunden werden.
Der Gefangene könnte sich so überlegen: "Gut, aus diesem Urteil kann ich kein Wissen gewinnen. Jedoch ist es für den Richter eine Ehrensache, dass jedes seiner Urteile genau erfüllt wird. Jetzt bleibt ihm nur noch eine Möglichkeit übrig, um zu diesem Ziel zu kommen: Mit der Zuversicht, dass ich es aus dem Urteil nicht wissen kann, mich morgen hinrichten zu lassen." Damit käme er zum Wissen, was ihm dem Urteil zufolge untersagt wurde.

Kann sein, dass dieses Wissen dem Gefangenen helfen oder seinem Anwalt die Chance geben könnte, dem Richter einen Karriereknick zu verpassen. Unsere Analyse kann von dieser Überlegung nicht beeinflusst werden, weil sie den Rahmen der Logik und den des Urteils verlässt. Für uns bleibt der Satz über die Gleichheit der Tage in Kraft, so wie er am Anfang des 1. Lösungstextes ausgesprochen war.

Ein anderer Grund für den begangenen Fehler könnte darin liegen, dass wir das Urteil vor allem gerade wie ein Urteil wahrnehmen, das heißt, wir kommen sofort zur Überzeugung, dass die Hinrichtung schon vorherbestimmt ist. Damit schreiben wir dieser Situation die Bedingungen zu, die dem Paradox mit den Kisten entsprechen, in dem das Vorhandensein des Balles in einer der Kisten wirklich unabdingbar ist. Im Kisten-Paradoxon wurde der Ball in der letzten Kiste tatsächlich der Aussage von R. widersprechen, im Urteil-Paradox dagegen steht der Gefangene am Samstagabend lediglich vor einem inneren Widerspruch des Urteils.

Bemerkung 2. Die Übereinstimmung zwischen zwei Varianten des Paradoxes.

Wenn R. den Ball in X2 legen wird, so wird G. es erfahren, sobald er X1 geöffnet hat, wobei es das unbedingte Wissen sein wird, was nicht von der Aussage R. abhängt. Also soll R. den Ball in X1 legen. Dabei riskiert er nichts, wir haben ja im Abschnitt "Das Paradox mit den Kisten" schon herausgefunden, dass wegen des entstehenden Widerspruchs G. zu keinem Wissen kommen kann. So verformt sich die Behauptung R. für G. zu "der Ball liegt in X1, aber du kannst es nicht wissen". Diese Aussage ist der Behauptung aus dem Urteil-Paradox äquivalent, wenn sie auf einem Tag bezogen wird. Somit wird auch die spezielle Lösung des Urteil-Paradoxes für das Paradox mit den 2 Kisten verwendbar, jedoch bringt das uns auf keine Weise der Erklärung des Letzten näher.

Im Allgemeinen ist das Paradox mit N + 1 Kisten dem Urteil-Paradox äquivalent, das sich auf N Tage bezieht.